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Digitale Gesundheitsanwendungen

Behandlung aus der Hosentasche – Zum Potenzial von DiGAs

DiGA Diabetes Apps Behandlung aus der Hosentasche - Zum Potenzial von DiGAs

Die Vorteile von Apps in der Gesundheitsversorgung liegen auf der Hand. Zunehmend gute Erfahrungen geben Anlass zu einem optimistischem Blick nach vorn.

Überall dabei. Immer griffbereit.

Wenn Professor Peter Schwarz seinen Blick in die Zukunft richtet und auf die medizinische Versorgung von Menschen mit chronischen Erkrankungen, sieht er ein Gesundheitssystem mit drei Säulen: die ambulante, stationäre und digitale Versorgung. Was in manchen Praxen mitunter noch als Nachteil betrachtet werden könnte, ist dem Professor für Prävention und Versorgung des Diabetes an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus Dresden zufolge ein echter Vorteil: Die Ärzteschaft gewinne mehr Zeit, sich um Patienten und Patientinnen zu kümmern, die dies wirklich brauchen – während jene, die ihre Therapie gut selbst managen und nur hin und wieder Unterstützung in Anspruch nehmen möchten, mit einer digitalen Gesundheitsanwendung (DiGA) bestens versorgt seien.

Aber auch für Menschen, die ländlich wohnen, kann eine DiGA vorteilhaft sein. „Die DiGA erleichtert den Alltag, indem sie Patienten und Patientinnen in ihrem Selbstmanagement unterstützt, und ermöglicht insgesamt mehr Flexibilität.“ Schließlich sei der Unterstützungsbedarf ja nicht immer gleich und schon gar nicht planbar. Ein digitales Tool aber, das man jederzeit zur Hand habe, ist eben immer genau dann verfügbar, wenn es gebraucht wird.

Peter Schwarz betont, dass die DiGAs niemals in Konkurrenz zu Diabetes-Teams stehen. Es sei vielmehr ein Miteinander und Nebeneinander von persönlichen Kontakten und digitaler Unterstützung. So könnten Smartphone-Apps eine ständige Verbindung zwischen Gesundheitspersonal und Menschen mit chronischen Erkrankungen schaffen. Das erleichtere die Kommunikation auch außerhalb der Check-Ups.

Viel Potenzial

Die DiGA ist Prof. Peter Schwarz zufolge ein nützliches Werkzeug mit viel Potenzial: „Tatsächlich haben wir über die digitalen Tools eine Möglichkeit, viel näher an Patientinnen und Patienten heranzukommen. Ich sage immer: Es ist eine Behandlung aus der Hosentasche!“ Wenn es um langfristige Verhaltensänderungen gehe, so Prof. Schwarz, dann erreiche man dies ja nicht dadurch, dass jemand einmal im Quartal vier Minuten im ärztlichen Sprechzimmer sitze. Vielmehr gehe es um die zahlreichen kleinen Entscheidungen im Alltag, die ausschließlich in der Hand der Betroffenen selbst lägen und ihr Verhalten bestimmen. „Hierfür ist die DiGA genau das richtige Instrument!“ Insbesondere im Bereich Psychotherapie und Adipositas können DiGAs Versorgungslücken schließen.

So ist es nicht ungewöhnlich, dass der Hausarzt oder die Hausärztin eine Psychotherapie verschreibt und der nächstmögliche Termin dafür erst sechs, manchmal auch neun Monate später wahrgenommen werden kann! Mit einem digitalen Tool lässt sich diese Zeit gut überbrücken, damit fühlen sich viele während dieser langen Wartezeit unterstützt. Im Bereich Adipositas, so der Experte, gebe es generell große Versorgungslücken. „Es gibt keine ambulante Adipositas-Therapie! Die DiGA zanadio zum Beispiel setzt also eine Therapieform ein, die sonst so in unserem Versorgungssystem gar nicht existiert.“ Erst bei Menschen, die einen Body Mass Index (BMI) von über 40 haben, könnten Medikamente verschrieben und eine OP in die Wege geleitet werden, erklärt Schwarz.

„Für jene aber, die noch nicht den Status ‚krankhaft übergewichtig‘ haben, gibt es keine verordnete Behandlung, um Gewicht zu verlieren. Das ist sozusagen Privatsache. Warum also nicht eine digitale Therapie nutzen, die nachweislich wirksam ist? Warum nicht Zeiträume sinnvoll überbrücken, Lebensstiländerungen im Alltag umsetzen und Versorgungslücken schließen?“, fragt der Arzt und DiGA-Experte und erläutert im anschließenden Interview ein paar Hintergründe zu einem teilweise kontrovers diskutierten Thema.

Interview mit Prof. Peter Schwarz

Behandlung aus der Hosentasche - Zum Potenzial von DiGAs

„Herr Prof. Schwarz, viele Ärztinnen und Ärzte beklagen den Mangel an Zeit für ihre Patienten und Patientinnen, sind aber teilweise skeptisch, wenn es um die Verordnung von DiGAs geht, obgleich diese Versorgungslücken schließen können. Woher kommt die Skepsis?“

„Nachdem das digitale Versorgungsgesetz beschlossen war und bevor es die ersten DiGAs gab, waren die Krankenkassen total begeistert von der Idee. Wenn das digital möglich wäre, könne man Patienten erreichen, die man sonst nicht erreicht, und eine engmaschigere Betreuung sicherstellen, so der Tenor. Aber als dann erstmalig ein Hersteller einen Preis nannte, wurden schnell Stimmen laut: „Die DiGA ist zu teuer!“ In einigen Praxen sah man zunächst nur den Preis pro Quartal und im Vergleich mit dem, was für einen Patienten, eine Patientin im Quartal abgerechnet werden darf, erschien die Summe unverhältnismäßig hoch. Bedingt dadurch ist eine Diskussion losgetreten worden, die bis heute andauert und in der es leider gar nicht mehr darum geht, was die DiGA für Patienten und Patientinnen wirklich leisten kann. Das ist schade.“

„Weshalb sind die Preise verhältnismäßig hoch?“

„Der finanzielle Aufwand ist hoch. Eine App zu entwickeln, die als DiGA funktionieren könnte, kostet circa 400 000 bis  500 000 Euro. Hinzu kommen Ansprüchean Datenschutz und Zertifizierungen, die zusätzlich etwa eineinhalb Millionen verschlingen. Man ist dann also schnell bei zwei Millionen Euro – und das nur, um dann in den Prozess zu gehen, die DiGA beim BfArM zu beantragen. Die großen Firmen sind im Vorteil, weil es für sie einfacher ist, diese Summen aufzubringen. Aber viele der DiGA-Hersteller kommen aus dem universitären oder ärztlichen Sektor und hier ist das eine beachtliche Investition. Wer so viel Geld investiert, möchte das natürlich auch irgendwann refinanziert wissen. Aus diesem Grund darf der Hersteller den Preis im ersten Jahr selbst festsetzen, um das Ganze ein stückweit refinanzieren zu können.

Eigentlich ist das eine gute und faire Sache, die leider von Anfang an seitens einiger Krankenkassen und der Ärzteschaft fehlinterpretiert wurde. Der Fokus lag plötzlich nur noch auf dem Einstiegspreis. Die Hintergründe und die Tatsache, dass der Preis nach einem Jahr neu verhandelt wird, waren gar kein Thema. Auch dass die Verordnung einer DiGA in keiner Weise das ärztliche Budget belastet, fiel unter den Tisch. Tatsächlich ist es so, dass ein DiGA-Hersteller nach der Investition noch nicht einmal weiß, ob seine App vom BfArM als DiGA zugelassen wird.“

„Wie wird aus einer App eine DiGA?“

„Der Hersteller muss die Zulassung beim BfArM beantragen, es gelten strenge Vorgaben und der Prozess ist sehr aufwändig. Wie auch bei der Zulassung von Medikamenten müssen abgeschlossene Studienergebnisse vorliegen, wobei die Anforderungen an eine DiGA-Studie um einiges höher sind. Nach einem Jahr müssen neue Studienergebnisse vorgelegt werden; fehlen diese, können sogar Strafzahlungen fällig werden. Wenn die Wirksamkeit der DiGA durch die weitere Studie belegt werden konnte, wird der Preis neu verhandelt. Bis die weiteren Wirksamkeitsnachweise  nach dem ersten Jahr vorliegen, wird eine DiGA nur vorläufig in das Verzeichnis aufgenommen.“

„Diabetesberater und -beraterinnen sorgen sich, die DiGA könne ihren Job überflüssig machen. Was kann man ihnen entgegnen?“

„Diese Sorge ist aus meiner Sicht völlig unbegründet. Zum einen ist es so, dass rund 31 Prozent aller Diabetespatientinnen und -patienten in Deutschland durch eine Schulung gar nicht erreicht werden, und zum anderen: Nicht alle wollen mit einer DiGA arbeiten. Unseren Schätzungen zufolge sind höchstens 40 Prozent dafür offen. Es wird immer Patienten und Patientinnen geben, die eine Präsenzschulung bevorzugen. Es gibt aber auch jene, die es klasse finden, wenn das über eine App läuft, weil es ihren Alltag erleichtert. Darüber hinaus können Menschen, die App-affin sind, natürlich zusätzlich profitieren. Beides kann nebeneinander existieren.

Ich glaube, dass sich dadurch in Zukunft für die Diabetesberatung sogar ein breiteres Aufgabenfeld ergeben und ihre Position gestärkt wird. Denn hinter jeder DiGA steht Beratung. Dies muss der DiGA-Hersteller gewährleisten. Diabetesberaterinnen und -berater sind aus meiner Sicht prädestiniert, dies mit zu übernehmen. Viele, mit denen ich gesprochen habe, waren aber auch sehr positiv eingestellt und sagten: ‚Das ist ja super, da weiß ich, dass meine Patientinnen und Patienten zwischen den Schulungen oder im Anschluss daran gut unterstützt werden.

Wir argumentieren im wissenschaftlichen Sektor doch immer wieder, dass das Selbstmanagement der Patientinnen und Patienten das Entscheidende ist. Aber Selbstmanagement erfolgt eben nicht in der Praxis oder im Gespräch mit dem Diabetesberater oder der -beraterin. Selbstmanagement ist das, was im Alltag passiert. Wenn Menschen mit Diabetes zu Hause sind, bei der Arbeit oder in ihrer Freizeit! Etwas in der Hand zu haben, mit dem wir genau das positiv beeinflussen können, ist doch großartig!“

„Sind es eher die Jüngeren, die DiGAs nutzen? Wie sind Ihre Erfahrungen?“

„Es sind interessanterweise die Älteren. Man denkt immer, die Jungen sind so Appaffin. Aber wenn man 400 Apps auf seinem Smartphone hat, verliert man schnell den Überblick. Die ältere Dame, die vielleicht 20 Apps hat und genau weiß: hier ist meine Diabetes-App‘, wird diese anders nutzen. Tatsächlich ist die Adhärenz1 bei über 65-Jährigen rund zwei Drittel höher als bei unter 65-Jährigen.“

„Wenn Kosten anfallen, möchten Ärzteschaft und Krankenkassen sicherlich wissen, ob die Patientinnen und Patienten auch adhärent sind und die App wirklich nutzen?“

„Ich könnte mir vorstellen, dass es zukünftig so sein wird, dass wenn eine App nicht genutzt wird, der Hersteller auch kein Honorar erhält. Bereits jetzt bauen Hersteller Strategien ein, um Anwendende zu motivieren,  am Ball zu bleiben. Genau das ist es, was wir im Disease-Management brauchen. Genau das trägt dazu bei, dass die Menschen weitermachen, neue gesunde Routinen in ihren Alltag einbauen und nicht aufgeben.“ „Was denken Sie, wie könnte es in einigen Jahren laufen im DiGA-Bereich?“ „Vorstellbar wäre, dass es eine DiGA gibt, die sich jeder Mensch mit Diabetes runterladen kann und über die eine Interaktion mit der elektronischen Patientenakte möglich ist. Es wäre denkbar, dass darüber dann weitere DiGAs verordnet werden. Man könnte also Therapie-DiGAs addieren, wenn dies erforderlich ist. Das System erkennt, was benötigt wird. Darüber wäre es auch möglich, ein Diabetesregister aufzubauen und so die Versorgung von Menschen mit Diabetes insgesamt zu verbessern.“

„Herr Professor Schwarz, vielen Dank fürdas Gespräch!“

Prof. Dr. med. habil. Peter Schwarz, Professor für Prävention und Versorgung des Diabetes an der Medizinischen Fakultät der TU / Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Prof. Dr. med. habil. Peter Schwarz, Professor für Prävention und Versorgung des Diabetes an der Medizinischen Fakultät der TU / Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden

Welche Diabetes-DiGAs gibt es derzeit ?

HelloBetter Diabetes und Depressionen DiGA

HelloBetter – Diabetes und Depression
Als erstes verschreibungsfähiges Medizinprodukt für psychische Beschwerden bei Diabetes bietet HelloBetter eine für Diabetiker zugeschnittene Soforthilfe bei depressiven Beschwerden. Der 12-wöchige Online-Kurs wird als Web Anwendung durchgeführt und basiert auf bewährten Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Patienten können den Kurs eigenständig durchführen – eine Einführung durch den behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten ist nicht erforderlich.

zanadio DiGA

zanadio – Diabetes und Adipositas
Die erste digitale Adipositas-Therapie unterstützt Menschen bei einem BMI von 30 bis 40. zanadio möchte Menschen mit Adipositas niedrigschwellig erreichen. Um sie individuell dabei anzuleiten und zu unterstützen, ihre Ernährungs- und Bewegungsgewohnheiten zu verändern. Mit dem Ziel, langfristig und gesund abzunehmen.

DiaExpert Diabetes-Hub

Zentraler Knotenpunkt für Menschen mit Diabetes, Diabetes-Teams und DiGA-Hersteller DiaExpert möchte die Schritte, die für eine erfolgreiche Verschreibung und Anwendung erforderlich sind, reduzieren und vereinfachen und ist Ansprechpartner bei allen Fragen rund um die DiGAs. Sie können ein Rezept für Ihre DiGA zusammen mit anderen Rezepten bei DiaExpert einreichen.

 


1 ) Damit ist gemeint, wie genau sich die Patientin oder der Patient an den gemeinsam mit dem Diabetes- Team entwickelten Behandlungsplan hält.

BfArM: Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zu den Aufgaben des BfArM gehören insbesondere die Zulassung von Arzneimitteln sowie die Risikoerfassung und -bewertung bei Arzneimitteln und Medizinprodukten. Oberstes Ziel aller Maßnahmen ist die Erhöhung der Sicherheit dieser Produkte und damit der Patientensicherheit. Eine entsprechende Prüfung durchlaufen die DiGAs.

Patient-Empowerment: Der Begriff Empowerment kommt aus dem Amerikanischen, entwickelte sich durch Selbsthilfeinitiativen weiter und wurde zunächst Bestandteil sozialer Arbeit. Darüber hinaus ist Empowerment auch in der Psychologie und der medizinischen Behandlung (Patientenkompetenz), der Selbsthilfe und Weiterbildung von Bedeutung. Inzwischen ist Empowerment ein Sammelbegriff für alle Ansätze der psychosozialen Praxis. Durch Empowerment sollen Menschen die Fähigkeit erlangen oder wiedererlangen, das Leben selbst zu gestalten. Allein das Gefühl, das eigene Handeln positiv beeinflussen zu können, gilt als wichtiger Schutzfaktor und Voraussetzung für eine gewisse Widerstandsfähigkeit, die sogenannte Resilienz.

 

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Ein Rezept für eine digitale Anwendung erhalten und beim Fach- und Versandhändler für Diabetesbedarf einreichen – jetzt bei DiaExpert.