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Kinder & Jugendliche

Wenn der Bruder oder die Schwester Diabetes hat

Wenn der Bruder oder die Schwester Diabetes hat

Etwa 1,24 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland wachsen mit einem Bruder oder einer Schwester auf, die eine chronische beziehungsweise schwere Erkrankung oder Behinderung haben. Auch wenn jede Familie anders und jede Geschichte individuell ist, finden sich bei Geschwisterkindern zahlreiche Parallelen. Damit ihre Bedürfnisse nicht zu kurz kommen, können Eltern sie unterstützen.

Die Herausforderungen sind groß

Die Diagnose Diabetes stellt das Leben von Familien meist gehörig auf den Kopf. Insbesondere dann, wenn Kinder betroffen sind. Je nachdem, wie alt das Kind ist, sind vor allem die Eltern gefragt und abhängig davon, wie das Kind mit der Diagnose umzugehen versteht, sind die Herausforderungen groß. Bei besonders lebhaften oder sportlichen Kindern können immer wieder Anpassungen erforderlich sein. Hinzu kommen Fragen wie: Wer kümmert sich in Kita oder Schule darum, wie ist es auf Kindergeburtstagen und Klassenreisen? Waren die Umstände der Diagnose besonders dramatisch und möglicherweise mit einer lebensbedrohlichen Ketoazidose verbunden, sitzt die Angst tief. Die Sorge vor Hypo- oder Hyperglykämien oder erneuten Stoffwechselentgleisungen ist belastend.

Die Schwierigkeit, allen gerecht zu werden

Geschwisterkinder sind oft hautnah dabei und spüren Besorgnis und Angespanntheit der Eltern, mitunter hatten sie selbst große Angst um ihren Bruder oder ihre Schwester. Mit der Diagnose Diabetes ist plötzlich vieles anders. Der Diabetes nimmt Raum ein, stellt das betroffene Kind meist in den Mittelpunkt und auch wenn die Liebe zu allen Kindern gleich groß ist: Für manche Eltern kann es manchmal schwierig sein, allen gerecht zu werden.

Jedes Kind ist anders

Die Situation von Geschwisterkindern lässt sich nicht verallgemeinernd beschreiben. Denn so individuell wie jede Familie, so vielfältig ist das Leben und Erleben, so unterschiedlich die Entwicklung und der Umgang mit den Aufgaben und Hürden im Alltag. Zudem ist ein Geschwisterkind mit Erkrankung natürlich nur einer von sehr vielen Faktoren, die sich auf das Leben eines Kindes auswirken. Einen Unterschied macht es sicherlich auch, ob man den Bruder oder die Schwester gar nicht ohne Diabetes kennt oder ob die Diagnose völlig unerwartet im Familienleben auftaucht und erstmal alles durcheinanderwirbelt. Je nachdem, wie alt die Geschwister sind, sorgen sie sich um ihren Bruder oder ihre Schwester.

Wenn der Bruder oder die Schwester Diabetes hat

Ältere Kinder übernehmen nicht selten Verantwortung und schlüpfen mitunter in eine Rolle, mit der sie womöglich überfordert sind. Hier sollten Eltern beobachten, aber nicht zu sehr intervenieren. „Lassen Sie Ihr Kind altersgerechte Aufgaben im Umgang mit dem Geschwisterkind mit Erkrankung übernehmen (zum Beispiel Vorlesen, Beaufsichtigen, Füttern)“, heißt es hierzu im Buch „Schwere Zeiten im Wunderwald“. „Die Erfahrung zu machen, den Eltern oder Geschwistern helfen zu können, kann Kinder stärken und stolz machen“, so die Autorin Leonie Baltruweit. Wichtig sei es auch, dass Kinder selbst mitentscheiden, welche Tätigkeiten sie mögen und sich zutrauen.

Wie erleben Geschwister die Erkrankung von Bruder oder Schwester?

Diese Belastungen sind typisch:

  • Geschwister erleben, dass das bisherige Familienleben durcheinandergewirbelt wird, wodurch Sorgen und Unsicherheiten auftreten können.
  • Zeitintensive Herausforderungen wie Krankenhausaufenthalte, Therapiemanagement, Termine et cetera sind oft mit zeitlichen Einschränkungen verbunden, was die berufliche Situation der Eltern beeinträchtigen sowie finanzielle Belastungen verursachen kann. Häufig ergeben sich eine erschwerte Planbarkeit in der Familie oder auch psychische Belastungen.
  • Durch sehr unterschiedliche Bedürfnisse zwischen Geschwisterkind und betroffenem Kind kann es zu Konflikten und dem Gefühl kommen, „unfair“ behandelt zu werden. Eifersucht kann entstehen. Geschwisterkinder beschäftigen sich auch häufig mit Schuld (Warum hat mein Bruder die Krankheit bekommen?) oder Gerechtigkeit (Ist es okay, dass ich gesund bin und meine Schwester nicht?).

Mitunter erleben Geschwisterkinder diskriminierende oder stigmatisierende Reaktionen aus dem Umfeld oder fühlen sich in der Pflicht, für ihre Geschwister einzustehen. Folgende Fähigkeiten entwickeln sich häufig:

  • Geschwisterkinder erwerben oft sehr früh wichtige soziale Kompetenzen. Sie können sich etwa gut in andere Menschen und deren Bedürfnisse einfühlen und sind hilfsbereit. Oft haben sie wenig Berührungsängste mit Menschen, die gesundheitliche Einschränkungen haben.
  • Häufig sind Geschwisterkinder sehr selbstständig und verantwortungsbewusst.
  • Ein unterstützendes Umfeld ermöglicht Geschwisterkindern schon früh die Erfahrung, dass man sich bei Schwierigkeiten Hilfe holen darf und diese auch erhält.

Wenn der Bruder oder die Schwester Diabetes hat

Offene Kommunikation leben

Was alle Kinder sicherlich spüren, ist die Anspannung ihrer Eltern. Nicht selten nehmen Geschwister sich selbst und ihre eigenen Gefühle daher automatisch zurück und stellen ihre eigenen Bedürfnisse hintenan, um Mutter und Vater nicht noch mehr zu belasten. Auch das Äußern von ambivalenten Gefühlen wie Wut oder Eifersucht gegenüber dem Kind mit Diabetes wird häufig als beschämend und nicht legitim empfunden. Ein Benennen und Akzeptieren von zwiespältigen Gefühlen sowie der konstruktive Umgang mit diesen ist für die psychische Gesundheit von Geschwisterkindern jedoch wichtig. Im Kinderfachbuch werden typische Gefühle und die Akzeptanz dieser benannt – so zum Beispiel:

  • Es ist okay, meinen Bruder lieb zu haben und gleichzeitig eifersüchtig auf ihn zu sein, weil Mama mehr Zeit mit ihm verbringt.
  • Es ist okay, meiner Schwester alles sagen zu können und mir trotzdem manchmal zu wünschen, sie hätte keinen Diabetes.
  • Es ist okay, wütend zu sein, wenn der Diabetes der Grund dafür ist, dass Pläne sich ändern. Eltern sollten offen mit dem Geschwisterkind sprechen und dabei folgende Tipps beherzigen:
  • Mit Wärme und Verständnis reagieren, damit sie auch schwierige Gefühle mitteilen können.
  • Um besser mit der Situation zurechtzukommen und einen offenen Austausch anzuregen, könnten Eltern ein Gespräch über Gefühle beginnen und dabei eigene Gefühle zeigen.
  • Wenn Eltern überlastet sind und keine Kraft für solche Gespräche finden, können Vertrauenspersonen aus der Familie zeitweilig diese Rolle übernehmen.

Unterstützung für Geschwisterkinder

Es gibt viele Möglichkeiten, Geschwisterkinder zu unterstützen. Allem voran sollten Eltern sich die Zeit nehmen, Kindern die Situation zu erklären: Was hat mein Bruder? Warum ist meine Schwester wieder im Krankenhaus? Warum muss Mama mit in die Klinik? Auch sollte das Geschwisterkind seine Fragen stellen dürfen und kindgerechte Antworten darauf erhalten: „Nicht alles, was Erwachsene wissen, muss gesagt werden, aber alles was gesagt wird, muss wahr sein“, heißt es im Kinderfachbuch „Schwere Zeiten im Wunderwald“. Möchte das Geschwisterkind Aufgaben übernehmen, sollte es die Möglichkeit dazu erhalten. Stehen besondere Termine bevor oder müssen Entscheidungen getroffen werden, kann es sinnvoll sein, das Kind mit einzubeziehen. Darüber hinaus ist es gut, wahrzunehmen, was das Kind leistet, und Lob auszusprechen sowie spezielle Geschwisterkind- Zeiten in den Alltag zu integrieren. Wenn möglich, dafür wöchentlich ein festes Zeitfenster einrichten.

Ich bin nicht allein

Auch Netzwerke, Foren und Communities sind hilfreich. Solche, die die Familie entlasten, und solche, die Austausch ermöglichen. So wie auch viele Menschen mit Diabetes sich vernetzen, um sich auszutauschen, finden auch ihre Geschwister hilfreiche Anlaufstellen in Gruppen mit Gleichgesinnten: Zu erfahren, dass andere Kinder zu Hause ähnliche Situationen erleben und sie damit nicht alleine sind, kann sehr entlastend sein. In vielen Orten gibt es Gruppen, in denen sich Geschwisterkinder austauschen können:

www.geschwisterclub.de Gruppenangebote für verschiedene Altersstufen von Geschwisterkindern und weitere Infos.

www.stiftung-familienbande.de Hier findet man Aktionen, Infos und Freizeiten verschiedener Anbieter.

www.jugendwerk-awo-reisen.de Das Jugendwerk der AWO organisiert Ferienfreizeiten. In diesem Jahr gab es eine Ferienfreizeit, in der Geschwisterkinder von Kindern mit Diabetes im Mittelpunkt standen.

www.diabetes-kids.de Die Initiative Diabetes-Kids ist ein kostenloses Forum und die größte virtuelle deutschsprachige Community für Kinder und Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und deren Eltern.

 

Buchtipp: Schwere Zeiten im Wunderwald

Mit dem Ziel, besondere Gefühle und  mögliche Herausforderungen von Geschwistern  zu erkennen und darüber ins  Gespräch zu kommen, widmet sich das  Kinderfachbuch konkret den Bedürfnissen  von Geschwisterkindern (ab ca. 3 Jahren).  Es soll Kommunikationswege eröffnen,  Bindung und Vertrauen stärken und  dem Geschwisterkind das Gefühl vermitteln,  dass es selbst auch Aufmerksamkeit,  Rückhalt und Mitgefühl der Eltern hat. Im  Fachteil für Erwachsene erläutern Expertinnen,  welche besonderen Bedürfnisse  Geschwister haben und wie sie beachtet  und gestärkt werden können.  „Schwere Zeiten im Wunderwald“ erhalten  Sie in den DiaExpert Fachgeschäften  und im Online-Shop: www.diaexpert.de 

Leonie Baltruweit: Schwere Zeiten im

Wunderwald, Mabuse Verlag, 1. Auflage

2023, ISBN 978-3-86321-629-0, € 24,–

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Zu einer guten Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes gehören Früherkennung, kindgerechte Behandlung und Unterstützung der Familien.